Arbeitskreis Historie Kappel- Grafenhausen
Arbeitskreis HistorieKappel- Grafenhausen

Elsa Santo

Das Leben der Elsa Santo

Sie sagte ihre Meinung und brachte sich in Lebensgefahr.

Wie eine Frau aus Grafenhausen vom nationalsozialistischen Regime verfolgt wurde.

 

Elsa Santo wird am 4. Juni 1906 in Grafenhausen/Ortenau, Kirchstr. 18, geboren. Ihre    Eltern betreiben einen Bauernhof. Sie geht auf die Volksschule, besucht anschließend das hauswirtschaftliche Internat und wird dann im Hotel „Laubfrosch“ in Freiburg zur Köchin ausgebildet. Als sie bei einer Verwandten in Möhringen im Gasthof „Ochsen“ aushilft,     lernt sie den Brauereibesitzer Hans Link kennen, den sie 1929 heiratete.

Mit 23 Jahren ist Elsa eine verheiratete Frau mit abgesicherter Zukunft, einem eigenen Heim und  einem tüchtigen Ehemann. Außer der Brauerei hat er auch Landwirtschaft und eben den „Ochsen“.  Zu jenem Zeitpunkt spielen bei dem Ehepaar politische Meinungen noch keine Rolle. Niemand ahnt, dass vier Jahre später die Nazis an die Macht kommen werden, die in 10 Jahren mit dem Überfall   auf Polen einen neuen Weltkrieg vom Zaun brechen.

Hans Link ist zwar kein Nazi, er will jedoch auch keine Probleme mit den Nationalsozialisten herausfordern. Elsa hingegen lehnt sich in aller Öffentlichkeit gegen die NS-Ideologie auf. Sie beunruhigt und verärgert mit ihren laut- starken, ehrlichen Meinungen und Kommentaren die  NS-treue, einheimische Kundschaft im Ochsen.       

Eine wichtige Rolle dabei spielt, dass Elsa die Zwangsarbeiter, die inzwischen in der Land- wirtschaft und Brauerei beschäftigt sind, genauso behandelt wie deutsche Arbeiter. Hans Link bangt, Kundschaft zu verlieren. Er fürchtet, im Gegensatz zu seiner Frau, dass das Dorfgerede, beide in Gefahr bringen könnte. Schließlich war es Gang und Gäbe, und auch in der Öffentlichkeit bekannt, politische Gegner einfach durch  KZ-Haft „auszusortieren“ –  oft mit Todesfolge.

Doch Elsa lässt sich nicht beirren, besonders nach dem brutalen Überfall auf Polen. Nahe Verwandte versuchen Hans zu überzeugen, dass eine Trennung von Elsa unabdingbar sei. Das Ehepaar lebt sich immer mehr auseinander. Hans Link sieht sich in einer unerträglichen Lage, aus der sich nur durch    die Ehescheidung befreien kann. Er schickt seine Frau zu einem Besuch nach Grafenhausen und teilt ihr mit, dass er sich scheiden lassen wird. Sie wird der Untreue bezichtigt,was aber nicht wirklich bewiesen werden konnte. Im Mai 1941 kommt es zur Trennung, die beiden Töchter Franziska  und Annemarie werden dem Vater zugesprochen.

Zurück nach Grafenhausen

Elsa nimmt wieder ihren Mädchennamen an und geht zurück nach Grafenhausen zu ihren  Eltern und arbeitet auf dem Bauernhof. Um den Abgabeverpflichtungen des NS-Reichsnährstandes nachkommen zu können, wird der Bauernfamilie Santo ein polnischer Zwangsarbeiter zugeteilt. Wladislaw Maslyk, geb.  am 11. September 1909 in Glink-Karzweski/Polen wird behandelt wie ein Familienangehöriger. 

Er ist ein fleißiger Mann mit guten Umgangsformen.

Elsa und Wladislaw verlieben sich. Vor ihren Eltern Berthold und  Frieda können beide für  lange Zeit ihre Beziehungen verheimlichen, bis Elsa schwanger    wird. Die Beziehungen zwischen einer Deutschen Frau und einem Polen galt damals als „Rassenschande“ und war verboten. Elsa drohte Haft, Wladislaw gar „Sonderbehandlung“, das heißt Todesstrafe, verhängt nicht vom Gericht sondern von der Gestapo.

                                                                                                                                                                 

Flucht nach Wlodawa

Elsa Santo flieht nach Polen zu den Eltern von Wladislaw. Der Vater ist jedoch inzwischen von Deutschen ermordet, die Mutter als Jüdin auf der Flucht.

Elsa kann jedoch nicht zurück. Aus ihrer Zeit in Möhringen weiß sie, dass der damalige Bürgermeister Götz inzwischen NS-Landeskommissar im Kreis Wlodawa wurde. Da er Elsa als tüchtige Gastwirtin schätzt, übergibt er ihr die Gastwirt- schaft „Deutsches Haus“, eine Einrichtung der Wehrmacht. Am 1. März 1943 bringt Elsa ihre Tochter Johanna zur Welt. Ihren Eltern schreibt sie, sie habe einen Säugling gefunden und adoptiert. Dies spricht sich schnell herum in Grafenhausen und die meisten ahnen, dass es ihr eigenes Kind ist.Die NS-Behörden erfahren von einer Einwohnerin von der Beziehung zwischen Elsa und Wladislaw und der Geburt des Kindes. Wladislaw und Elsas Eltern werden verhört.  Wladislaw wird verhaftet und in Handschellen aus dem Dorf geführt. Seine Spur verliert sich im Offenburger Gefängnis, vermutlich wurde er bei Durbach ermordet.

Von all dem erfährt Elsa nichts. Wlodawa war vor dem Einmarsch der deutschen zu 75 Prozent von Juden bewohnt, danach von keinem einzigen mehr. Wenige Kilometer ent-   fernt lag das Vernichtungslager Sobibor. Elsa berichtete ihren Eltern in Briefen über die Grausamkeiten, die von den Nazis an den Juden begangen wurden. Die Briefe werden abgefangen und der Gestapo übergeben.

Flucht nach Jena

Am 20. Juli 1944 flieht Elsa von der herannahenden Front nach Jena in Thüringen. Sie findet Unterkunft bei der Familie Emrich und Maria Sichting. Elsa muss illegal bleiben, da sie vermutet, dass nach ihr gefahndet wird. Daher kann sie auch keine Lebensmittel- marken erhalten. In Briefen an ihre Mutter bittet sie um Lebensmittel. Dadurch erfährt die Gestapo ihren Wohnsitz.

Deportation nach Ravensbrück

Am 22. November 1944 wird sie von der Gestapo verhaftet, ohne dass ihr der Haftgrund genannt wird. Das Kind Johanna wird vom Ehepaar Sichting verborgen. Nach mehreren Verhören wird sie in das Frauenkonzentrationslager Ravensbrück mit der Häftlingsnummer 95137 eingewiesen. Der rote Winkel weist sie als politischen Häftling aus.

Elsa wird im Straßenbau eingesetzt. Die jungen KZ-Aufseherinnen, jede mit Peitsche und Schäfer-hund bewaffnet, hetzen immer wieder aus Über- mut oder um die Häft- linge anzutreiben, die Hunde auf sie. Elsa erleidet mehrere Bisswunden an beiden Beinen.

Als sie zusammenbricht,

kommt sie als „Versuchskaninchen“ in die medizinische Baracke. Mit Kälte- und Hitze- schocks wird sie gequält. Im April 1945 nähert sich die Rote Armee dem KZ, worauf die Häftlinge am 22. April aus dem KZ getrieben werden. Den Häftlingen wird vorgemacht, es handle sich um eine Verlegung in ein anderes KZ. Der Marsch wird zum Todesmarsch, denn wer Schwäche zeigt, wird von der SS-Wachmannschaft erschossen und liegen gelassen.

 

Gedanken an Ravensbrück

Im Jahr 1952 wurde an der – von der Außenseite zugänglichen – Lagermauer eine Tafel mit einem Epigramm angebracht.                                                  

 

Eslautet:                                                                                                                                                    Sie sind unser aller Mütter und Schwestern. Ihr könntet heute weder frei lernen, noch spielen, ja, ihr wäret vielleicht gar nicht geboren, wenn solche Frauen nicht ihre zarten, schmächtigen Körper wie stählerne Schutzschilde durch die ganze Zeit des faschistischen Terrors vor euch und eure Zukunft gestellt hätte.    

Anna Seghers                                                 

Rückkehr nach Jena

Am 28. April lassen sich Elsa Santo, Emma Fischer aus Ettenheim und Frieda Waldkircher aus Krenklingen bei Waldshut in den Straßengraben fallen und stellen sich tot. Sie werden zurück gelassen. Mehrere Wochen halten sie sich versteckt, bis sie endlich vom Kriegsende erfahren und Elsa nach Jena zurückkehren kann. In Jena wird sie von Maria Sichting und  ihrer Tochter Johanna erwartet.                                                                    

Heimkehr nach Hause

Elsa wird in Jena als NS-Verfolgte anerkannt und soweit gesund gepflegt, bis sie reisefähig ist. Sie kehrt im Januar 1946 nach Grafenhausen zurück. Da der Vater inzwischen verstorben war, bewirtete ihr Bruder die Landwirtschaft. Ihr selbst steht nur wenig  Land zur Verfügung, das sie mit Hilfe eines anderen Bauern bewirtschaftet. Mit ihrer Tochter lebt sie in großer Armut. Als Köchin kann sie nicht mehr arbeiten, da sie immer noch an den körperlichen Schäden aus der KZ-Haft leidet. Da sie nicht krankenversichert ist, kann sie keine ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen.

Forderung auf Entschädigung

Psychisch und physisch schwer gezeichnet, stellt sie am 10. Mai 1946 beim Finanzamt und bei der Vermögungskontrolle in Offenburg einen Entschädigungsantrag als politisch Verfolgte.                                                                                                                                                 Sie wird als politisch Verfolgte anerkannt, die Entscheidung über die Entschädigung, die  nach dem Gesetz innerhalb eines Jahres fallen muss, wird jedoch erst vier Jahre später befürwortet. Am 28. August 1951 wird ihr ein Schreiben vorgelegt. Darin steht dass die KZ-Haft auf-   grund ihres Verhältnisses mit einem Polen erfolgte. Die Unterschrift darunter wäre notwendig, um die Entschädigung zu erhalten. Was sie nicht wissen kann, ist, dass sie sich durch diese Unterschrift als politisch Verfolgte ausschließt. Haft aufgrund eines Verhältnisses mit einem Polen gilt nicht als politische Verfolgung. Der wahre Haftgrund dürfte in ihrem Berichten aus Ostpolen über die Grau- samkeiten der SS zu sehen sein.Es beginnt ein langer Leidensweg durch Behörden und Gerichte.Einmal ist die Akte nicht mehr auffindbar, dann ist sie vernichtet worden, dann habe sie angeblich die Klage zurück genommen. Gegen die wehrlose, kranke und hilfsbedürftige   Frau wird intrigiert, bis sie letztendlich am 18. April 1961 an den Folgen der KZ-Haft mit 55 Jahren stirbt und die unmündige Tochter Johanna hinterlässt, ohne eine Entschädigung erhalten zu haben. Für Johanna beginnt jetzt ein eigener Leidensweg, aus dem sie dann ihr künftiger Ehemann herausholt. Nach zwei Anläufen erhält Johanna im Jahr 2008, 62 Jahre nach Antragstellung, eine kleine Entschädigung.

Recherche der traurigen Geschichte:

Annette Müller (Enkelin der  Elsa Santo) und Hans-Peter Goergens.

Von Annette Müller wurde die Geschichte zu einem Theaterstück „Elsa, ich darf nicht sprechen“ produziert. 2011, 2012 und 2013 wurde dieses Stück im Salmen, Offenburg, aufgeführt. Annette Müller erhielt 2012 dafür den Bundesamateurpreis.

Bearbeitet von Albrecht Höhn

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